Kleiner Verein, großer Erfolg: TSV 1860 Mühldorf im Portrait
Beim TSV 1860 Mühldorf feierten sie in dieser Saison gleich vier Aufstiege. Dass die Volleyballabteilung boomt, ist kein Zufall. Eine Vielzahl engagierter Helfer arbeitet mit, um die Talente der 22 000-Einwohner-Gemeinde auf den Weg zu bringen.
Die Konfettibomben zündeten zu früh, aber der Jubel war nicht mehr zu bremsen. Da konnte Abteilungsleiter Stefan Bartsch in der Dreifachsporthalle der bayerischen Kleinstadt Mühldorf am Inn noch so oft „Moment noch, Moment noch” ins Mikrofon rufen. Die Jungs der ersten Mannschaft feierten ihr Team. So ist das nun mal mit den Emotionen bei jungen Menschen – die mussten raus. Auch Klaus Drauschke, Präsident des Bayerischen Volleyball-Verbands, der mit Meisterpokal und Medaillen bereitstand, konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. So viel Begeisterung steckt an.
Und diese Begeisterung war an diesem Tag vom ersten Aufschlag an zu spüren, am Ende stand ein souveränes 3:0 gegen den ASV Dachau. Das Spiel zum Saisonfinale in der 3. Liga Ost wurde ein Volleyballfest. Es war, als wollte das Team des TSV 1860 Mühldorf vor vollem Haus noch einmal zeigen, dass es sich den Wiederaufstieg in die 2. Bundesliga verdient hatte. In Feierlaune war dabei nicht nur das Vorzeigeteam des Klubs. Die zweite Mannschaft holte ebenfalls den Meistertitel – und das als Liga-Neuling. Sie geht in der kommenden Saison in der Regionalliga ans Netz. Aufsteigen konnten ebenfalls das dritte Männerteam, das den Sprung in die Bezirksliga schaffte und die zweite Frauenmannschaft, die künftig in der Bezirksklasse aufschlägt.
Vier Aufsteiger bei den Erwachsenen – was für eine Saison. Für die Volleyballabteilung des TSV Mühldorf mit ihren 320 Mitgliedern ist das ein einmaliges Ereignis, das Abteilungsleiter Stefan Bartsch euphorisch wie folgt einstuft: „Gemessen an unserer Einwohnerzahl von 22 000 ist das ein beachtlicher Erfolg und umso höher einzuschätzen, da unsere komplette Abteilung ausschließlich durch ehrenamtliches Engagement am Laufen gehalten wird.” Dass der Verein im Mai auch noch die größte Beachanlage im südostbayerischen Raum eröffnen kann, ist ebenfalls ein Produkt hunderter ehrenamtlicher Stunden. „Es braucht immer ein paar Bekloppte, die so etwas stemmen”, sagt Jürgen Wöls. Der 49-Jährige ist Trainer der ersten und interimsmäßig auch bei der zweiten Männermannschaft, zudem ist er auch noch als Jugendleiter gefordert. Ganz schön viel für eine Person, wie nicht nur Wöls findet. Nach dem Sichtungstraining für den Zweitligakader, der die neue Saison bestreiten soll, gibt er den Job auf der Bank ab. Den Hut hatte er sich ohnehin nur aus der Not heraus aufgesetzt, weil kein anderer zur Verfügung stand. Außerdem kam sein Amt als Jugendleiter zu kurz: „Dabei”, so Wöls, „ist das für einen Ausbildungsverein essenziell.”
Vor sechs Jahren etablierte er in Mühldorf das sogenannte Headcoach-Prinzip: „Es gibt jeweils einen Vertreter aus dem männlichen und weiblichen Bereich, der mit mir als Jugend- und Stützpunktleiter über alle Altersgrenzen hinweg bei der Konzeption des Trainings und bei der Zusammenstellung der Teams zusammenarbeitet”, erläutert Wöls: „Dabei haben wir die Durchlässigkeit zwischen den Jugendmannschaften und auch den Erwachsenenteams erhöht. Ausgewählte Kids trainieren mindestens ein Mal pro Woche mit der nächsthöheren Erwachsenenmannschaft.” Das führe automatisch zu einer Verbesserung, „weil sich die Jugendlichen mehr anstrengen und das Gelernte dann wieder in das Training ihrer Altersgruppe einbringen.” So wurde die erste Mannschaft mit Jugendspielern mit Doppelspielrecht aufgestockt. Die Talente konnten unter der Woche auf hohem Drittliganiveau trainieren und am Wochenende bei den Spielen in der Bayernliga oder der Bezirksklasse performen.
Ein weiterer Baustein der Erfolgsgeschichte sind für Wöls die Turnierfahrten. Seit Jahren reisen Teams aus Mühldorf auf nationale und internationale Turniere, etwa nach Italien, Österreich und auch innerhalb Deutschlands nach Dresden und Berlin: „Erstens, weil es Spaß macht, und zweitens, weil wir bei diesen Veranstaltungen viel ausprobieren können und die Kids Spielpraxis sammeln”, erklärt Wöls. Durch diese Maßnahmen habe der Klub „genau die richtige Mischung aus jung, wild und erfahren gefunden. In dieser Kombination waren wir in dieser Saison einfach unschlagbar.”
So sorgte die Teilnahme der U 20 Anfang April am Cornacchia World Cup in Pordenone wieder einmal für Gänsehautmomente: Wenn 80 Jugendteams im Sternenmarsch auf die Piazza der norditalienischen Stadt zumarschieren und dann im Konfettiregen das Turnier eröffnen, ist die zehnstündige Anreise inklusive Stau schnell vergessen.
Joachim Tille als Erfolsgarant
Initiiert hat diese Fahrten vor Jahren Jugendtrainer Joachim Tille, der mehrfach mit seinen Teams Deutscher Meister und Vizemeister wurde. Der 71-Jährige ist Vater hochdekorierter Kinder: Johannes Tille, Zuspieler der Nationalmannschaft und beim Dauermeister BR-Volleys; Ferdinand Tille, einst zum besten Libero der WM 2010 in Italien gekürt; Leo Tille, der ebenfalls in der Nationalmannschaft als Libero auflief und Libera Veronika Tille, die sich jedoch, anders als ihre Brüder, gegen eine Profikarriere entschied.
Die Trainerlaufbahn des Vaters begann im September 1976 beim TSV Ottobrunn. Später wechselte Joachim Tille als Sportlehrer ans Mühldorfer Ruperti-Gymnasium und sichtete dort zahlreiche Talente, baute die Schule zum Stützpunkt auf und brachte so zahlreiche Spieler über die Schule zum Vereinssport.
Bis auf wenige Ausnahmen wurden sämtliche Spieler der diesjährigen männlichen Aufstiegsmannschaften von ihm ausgebildet. Jugendliche motivieren und kontinuierlich mit ihnen arbeiten, lautet sein Credo. Jeder Jugendliche, der in seiner Obhut war, kennt seine legendären Morgenspaziergänge. Ob Meisterschaften oder Turnierfahrten – vier Stunden vor Spielbeginn geht es an die frische Luft. Für den passionierten Trainer ist es kein leichtes Los, im Laufe der Jahre viele Top-Talente – darunter auch seine Söhne – ziehen lassen zu müssen. Anders als Vereine wie Dachau oder Grafing, die von der Nähe zu München profitieren und mehr Möglichkeiten haben, Spieler und Trainer für sich zu gewinnen, muss die beschauliche Kleinstadt im Osten Bayerns sehr viel mehr aus eigener Kraft stemmen und eigene Nachwuchsspieler aufbauen.
Aber nicht alle gehen. Fabian Bartsch etwa ist geblieben. „Dass wir es geschafft haben, als Team nach dem Abstieg wieder eine positive Stimmung zu kreieren und diese zu halten, war der Grundstein für diese erfolgreiche Saison”, sagt der 25-jährige Leistungsträger, für den eine Sehnsucht in Erfüllung geht: „Volleyballerisch ist es für mich persönlich wichtig, wieder in der 2. Liga zu spielen, da es mir mehr Spaß macht, im Training und im Spiel gefordert zu sein.”
Anfragen aus der 1. und 2. Liga gab es durchaus, er habe sich aber am Ende für seinen Heimatverein entschieden, „weil dieser Klub für mich wie eine große Familie ist. Man kennt jeden, jeder hilft mit, es wird bei großen Projekten wie der Ausrichtung von Deutschen Meisterschaften, Beachevents und den neuen Sandplätzen gemeinsam angepackt. Und natürlich wird hier auch zusammen gefeiert.” Bartsch fühlt sich als Teil dieser Familie, „und das wollte ich auf keinen Fall aufgeben”.
Auf engagierte Personen kommt es an
Wie in allen Hochburgen gibt es auch in Mühldorf Familien, die das Geschehen seit Generationen prägen und mit Leben füllen, immer wieder Projekte anschieben und das Volleyball-Gen weitergeben. In diesem Segment entpuppt sich der Kleinstadtfaktor als Vorteil: Nicht wenige Elternpaare haben dieselbe Schule besucht, geheiratet und für ballaffinen Nachwuchs gesorgt.
Zum Beispiel Sportdirektor Stephan Schinko und Jürgen Wöls. „Wir haben beide zusammen Volleyball gespielt”, berichtet Schinko, „haben gemeinsam Abi gemacht und sind im gleichen Jahr zum ersten Mal Vater geworden.” Ihre Söhne feierten mit 16 beziehungsweise 17 Jahren ihr Zweitliga-Debüt. Natürlich ist nicht immer alles rosig: „Familie, Beruf, Schule, meine Frau, die Mädchenmannschaften trainiert und nebenbei auch noch die gesamte Hallenplanung mit Stadt und Kreis organisiert – das alles kann eine Familie schon mal in den emotionalen Grenzbereich bringen”, sagt Wöls. Doch entscheidend sei bei all dem Aufwand immer der Spaß an der Arbeit und das Gefühl, „gemeinsam mit vielen anderen etwas bewegen zu können”.
Das unterstreicht auch Josef Enzinger, Hallensprecher, Trainer, Berichterstatter und Vater von drei Töchtern, die natürlich Volleyball spielen. Sie sind nicht ganz unschuldig daran, dass er sich im Mädchenbereich engagiert: „Anders als bei den Jungs ist die Aufteilung der Spielerinnen in Teams gar nicht so einfach”, weiß Enzinger aus eigener Erfahrung: „Wenn zum Beispiel Freundinnen unbedingt zusammen in einem Team spielen wollen, obwohl von der Leistung her eine andere Regelung mehr Sinn ergeben würde, kann einen das schon mal vor Herausforderungen stellen.”
Gerade in den vergangenen Jahren gab es viele Neuzugänge im weiblichen Bereich, vor allem in den Jahrgängen 2008 und 2009. „Viele Eltern haben sich gleich im Verein engagiert und Aufgaben übernommen”, freut sich Headcoach Karin Dietl. So kommt der Aufstieg der zweiten Mannschaft nicht von ungefähr: „Den haben sich die Mädels absolut verdient”, findet Trainerin Dani Bruckner, die einst in der 2. Liga bei den Roten Raben Vilsbiburg wirbelte: „Sie haben super trainiert und hart an sich gearbeitet.”
Ein eigenes Thema sind die Social-Media-Kanäle, die Fabian Bartsch betreut: „Während der Saison kommen schnell mehr als zwölf Stunden pro Woche zusammen”, so Bartsch. Die Zahlen sprechen für sich: Dem Auftritt auf Instagram folgen 2830 Nutzer. Doch um das Level zu halten und weitere Ideen umzusetzen, braucht Bartsch Unterstützung.
Auch Trainerposten und bestimmte Spielerpositionen können auf dem aktuellen Level auf Dauer nicht aus den eigenen Reihen besetzt werden. „Wir müssen nachhaltig hauptamtliche Strukturen in den Schlüsselbereichen etablieren”, sagt Tom Gailer, Teammanager der ersten Mannschaft, der jahrelang als Trainer fungierte und der nun in neuer Funktion Werbung in eigener Sache macht: „Wen es als Spieler, Trainer oder Eventmanager ins bayerische Oberland zieht, der ist bei uns herzlich willkommen.“
Stefan Bartsch im Interview
Stefan Bartsch leitet beim TSV Mühldorf seit über 25 Jahren die Abteilung Volleyball und hat die Erfolgsstory des Vereins mitgeschrieben. Aktuell hat die Abteilung 320 Mitglieder und 38 Mannschaften, davon 30 Jugendteams im Spielbetrieb, von der U 12 bis in den Freizeitbereich.
Herr Bartsch, hat es Sie überrascht, dass gleich vier Teams des TSV aufgestiegen sind?
Den Aufstieg der zweiten Frauenmannschaft in die Bezirksklasse hatten wir vor der Saison als Ziel ausgegeben. Ein Jahr zuvor ist unser erstes Frauenteam in die Landesliga aufgestiegen, die Lücke darf nicht zu groß werden, um eine gesunde Struktur zu erhalten. Bei der dritten Männermannschaft, die bis auf zwei ältere Leitwölfe alle Jahrgang 2006 bis 2008 sind, war es eine Wundertüte. Anscheinend haben das Trainerteam und der Betreuer vieles richtig gemacht – sie haben kein Spiel verloren. Die zweite Männermannschaft ist der Knaller. Als Aufsteiger aus der Landesliga mit demselben Personal in die Regionalliga durchzumarschieren, ist Wahnsinn. Die Jungs, auch hier bis auf zwei ältere Spieler alle Jahrgang 2004 bis 2008, haben super performt und gerockt. Und dann ist ja auch noch – als Krönung der Saison – die erste Mannschaft aufgestiegen. Bei der ersten Mannschaft war die Krise nach dem Abstieg eklatant, aber als unser Kapitän Tom Brandstetter, fünf weitere etablierte Spieler sowie Fabian Wagner zugesagt hatten, haben wir das Saisonziel revidiert. Das Team hat einen Riesenjob gemacht und bewiesen, was wir gemeinsam draufhaben.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen?
Der Übergang in semiprofessionelle Strukturen und das Überzeugen von Sponsoren, dass dies der richtige Weg ist. Wir haben in den letzten 25 Jahren mit vielen Stockerlplätzen bei Bayerischen und Deutschen Meisterschaften, dem Erreichen der Bundesliga bei den Männern sowie dem rasanten Wachstum im weiblichen Bereich bewiesen, was wir bewegen können. Wir wollen diesen Weg weitergehen, die Errichtung unserer famosen Beachanlage mit sechs Feldern ist ein weiterer wichtiger Schritt. Jeder Euro ist bestens investiert in Jugend- und Öffentlichkeitsarbeit. Die nächste Generation steht schon in den Startlöchern. Aber wir brauchen Unterstützung, finanziell und ideell.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten…
Da komme ich mit einem nicht hin, es gibt gleich mehrere Wünsche: Unsere ehrenamtlich Tätigen sollen die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen. Das trifft übrigens auf alle Ehrenamtler im ganzen Land zu. Was Trainer und Betreuer gerade im Jugendbereich leisten, ist für unsere Gesellschaft unglaublich wichtig und nicht mit Geld aufzuwiegen. Wir – die Sportvereine – holen die Kids von der Straße, lehren sie Werte und Emotionen. Die Älteren werden zu Vorbildern, die die Jungen brauchen, um ihnen nachzueifern. Nur so funktioniert es. Ich sehe die Wertschätzung, die ehrenamtliche Helfer verdienen, nicht immer. Trainer oder Betreuer im Sportverein werden oft als Selbstverständlichkeit hingenommen, die nicht für Geld, sondern aus Eigenmotivation arbeiten. Um sie zu motivieren und zu halten, benötigen wir die Unterstützung von Sponsoren und der Kommune bis hinauf zum Ministerium. Als ein Beispiel von vielen nenne ich die Zuteilung von Lehrkräften an Schulen.
Und was liegt Ihnen noch am Herzen?
Ein weiterer Wunsch wäre, dass wir bei uns in der Zukunft eine gesunde Ausgewogenheit von Ehren- und Hauptamt hinbekommen. Wir brauchen beides, um uns als Abteilung weiterzuentwickeln: die Begeisterung unserer Ehrenamtler und den Professionalismus ausgewählter Fachkräfte. Für uns ist das Neuland, aber es erscheint mir unausweichlich.
Aller guten Dinge sind drei…
Volleyball ist meine Sportart, ich wünsche mir sehnlichst, dass wir endlich den Diaspora-Status verlassen, den wir – zumindest im männlichen Bereich – bei uns in der Region haben. Ein Beispiel: Noch halten wir mit vier bis sechs Teams bei den Jungs den Standard in den jüngsten Altersstufen relativ hoch, aber wenn ich sehe, dass es im Chiemgau nun seit zwei Jahren nur noch U 12-Mannschaften aus Mühldorf gibt, und wir in Bayern ganze Regierungsbezirke haben, die in dieser Altersstufe lediglich vier Neuanmeldungen pro Jahr zu verzeichnen haben, wird mir angst und bange.
Die Autorin
„Selbst wenn ich wollte, kann ich mich Volleyball gar nicht entziehen”, sagt Katharina Vähning. Ihre Familie, so berichtet die Autorin dieses Artikels, sei dauerhaft im Volleyballfieber. Sohn Fritz (19) ist beim TSV Mühldorf großgeworden, wechselte zum VC Olympia nach München, spielte in der vergangenen Saison beim ASV Dachau und kommt aktuell in der deutschen U 20-Nationalmannschaft zum Einsatz. Ihr Mann Fredo Böcker ist als Sportwart und Heimspielkoordinator der ersten Mannschaft aktiv, hat sämtliche Volleyballkanäle abonniert, flickt abends Bälle und repariert Banden. Und wenn Tochter Frida in Mühldorf zu Besuch ist, muss sie sich nicht verabreden, weil an Spieltagen das Wochenendprogramm schon feststeht.
Vielen Dank an die Volleyball-Abteilung des TSV Mühldorf und Autorin Katharina Vähning, die diesen Artikel zur Verfügung gestellt haben! Ich habe mir lediglich ein paar kleine Änderungen erlaubt.