FrauenNational

Volleyball: Ein „von Männern dominiertes System“

Im Volleyball rühmen wir uns oft, dass der Frauen- und Männervolleyball sich auf Augenhöhe befinden. Ein ausgeglichenes Verhältnis in den Mitgliedsstatistiken des DVV und vergleichbare Profi-Ligen auf wirtschaftlicher Ebene sprechen eigentlich eine klare Sprache. Dabei spiegelt sich das in Führungspositionen überhaupt nicht wieder – egal ob als Trainerin oder im Management. Warum Frauen in Führungspositionen so unterrepräsentiert sind und wie gegengesteuert wird, verrät mir Dr. Elena Kiesling im Interview.

Elena, du bist Anfang des Jahres mit der Initiative „ACES | Womxn 4 Volleyball“ an den Start gegangen – wer steckt dahinter und was ist eure Mission?

Dahinter stecken Christy Swagerty und ich. Wir haben uns in der Saison 2022/23 kennengelernt, als unsere beiden Teams in der 2. Bundesliga Süd Damen gegeneinander gespielt haben. Christy ist Head Coach beim TV SUSPA Altdorf, ich war zu dem Zeitpunkt Head Coach beim SV Lohhof. Wir haben schnell festgestellt, dass wir eine Leidenschaft teilen: nämlich Frauen* in unserem Sport zu befähigen, Führungspositionen einzunehmen. Denn wir sind in unserem eigenen Sport noch sehr unterrepräsentiert. Wir sind dann ziemlich schnell auf die Idee gekommen, dass wir da endlich mal gegensteuern und nicht nur meckern müssen, also ist die Plattform Womxn4Volleyball entstanden, mit der Idee Frauen* im Volleyball besser zu vernetzen, Informationen auszutauschen, zu teilen und letztendlich natürlich zu empowern.

Anmerkung: Elena nutzt das Sternchen hinter „Frauen“, dass sich auf alle Personen bezieht, die sich unter der Bezeichnung „Frau“ definieren, definiert werden und/oder sich sichtbar gemacht sehen.

Ich stelle ja auch bei den Gästen meines Podcasts fest, dass hier wohl Nachholbedarf besteht. Hast du konkrete Zahlen, welches die aktuelle Situation beschreibt?

Die neueste Zahl kommt aus der laufenden EM der Frauen* im Volleyball, wo es mit Lauren Bertolacci genau eine einzige weibliche Cheftrainerin gibt und die Schweiz trainiert. Die anderen Zahlen findest du auf unserer Website. Sagen wir mal so, wir sind nicht einmal annähernd an der 50 % Marke dran, was die Verteilung von weiblichen und männlichen Head Coaches im Volleyball betrifft.

Mit Lisa Thomsen vom USC Münster gibt es eine einzige weibliche Trainerin in den 1. Bundesligen. Weitere 15 % sind Assistenz-Trainerinnen. Damit sind über 80 % der Trainer*innen männlich. Quelle

Beobachtest du das nur bei Führungspositionen im sportlichen Bereich oder auch auf der Management-Ebene?

Volleyball ist ja auch nur ein Ausschnitt aus unserer Gesellschaft. Das was wir also im Frauen*-Volleyball erleben ist kein Einzelfall. Wir finden eine Unterrepräsentation von Frauen* in Führungspositionen in anderen Sportarten und natürlich auch in Unternehmen. Ich arbeite mit meiner Firma Perform Ready oft in solchen Umfeldern und stelle auch da fest: je höher die Führungsebene, desto geringer der Frauenanteil. Das ist ja allerdings nicht neu. Die Frage ist, welche Lösungen finden wir, um mehr Frauen* in Führungspositionen zu bekommen? Die Studienlage ist sich zumindest einig, dass Teams mit einem höheren Frauenanteil auch erfolgreicher sind. Wobei man natürlich auch hier diskutieren müsste, was die unterschiedlichen Definitionen von Erfolg bestimmt.

Ihr sprecht aber nicht nur deutsche Frauen an. Wie sieht die Situation im internationalen Vergleich aus?

Christy ist US-Amerikanerin und damit in einem ganz anderen sportlichen System aufgewachsen. Ich war auch eine Saison in den USA am College und konnte mir live einen ganz anderen Kontext anschauen. Wenn die erhobenen Zahlen, die man in diversen Reports findet, stimmen, dann waren in der Saison 2019/20 fast 50 % weibliche Head Coaches im NCAA Div I Bereich unterwegs. Das ist natürlich eine beachtliche Zahl im Vergleich zu Deutschland. Wie es in anderen Ländern in Europa aussieht kann ich nicht anhand von Zahlen belegen. Unsere Kontakte spiegeln uns aber wider, dass sich auch die Situation in Frankreich, Österreich, der Schweiz und Spanien dringend verbessern sollte. Ich denke der Sport im Allgemeinen hat ein wenig Aufholbedarf was weibliche* Führungsrollen angeht.

Christy Swagerty ist Cheftrainerin beim TV SUSPA Altdorf in der 2. Bundesliga Süd, nachdem sie 2022 ihre deutsche A-Trainerlizenz erworben hat. Sie spielte und trainierte über ein Jahrzehnt lang Volleyball in Kalifornien, bevor 2011 ihre Profikarriere sie nach Europa führte. Foto: Womxn4volleyball

Wie erklärst du dir diese Zahlen aus der NCAA?

Ich erkläre mir das so: in den USA hat Coaching einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. Das ist schonmal eine ganz andere Grundvoraussetzung. Außerdem werden dort Spieler:innen viel früher in die Verantwortung genommen, was Coaching oder Leadership-Rollen im Allgemeinen angeht. Leadership hat in Teams eine viel zentralere Rolle als bei uns. Christy hat bspw. ihr erstes Camp mit 17 gecoacht. Es ist in den USA völlig normal, dass man schon in der High School (also mit ca. 14 bis 16) anfängt, Coaching-Erfahrung zu sammeln und bei den Kleineren mithilft.

In Deutschland sind sogar etwas mehr Frauen als Männer in einem Volleyballverein gemeldet. Auch im Profi-Bereich sind sie sportlich und wirtschaftlich mindestens auf Augenhöhe mit den Männer-Clubs. Woran liegt es also, dass so wenige Frauen in einer Führungsrolle sind?

Das wird eines unserer Ziele sein, erst einmal Daten zu erheben bzw. Antworten auf diese Frage und ähnliche zu bekommen. Bislang können wir natürlich nur spekulieren bzw. auf unsere eigenen Erfahrungen und Geschichten Anderer zurückgreifen. Da erkenne ich momentan folgende Trends: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, schlechte Bezahlung, wenige Vorbilder oder keine Lust sich in männlich dominierten Strukturen zu behaupten. Ein Beispiel was ich immer wieder zu hören bekomme sind z. B. Trainer:innenausbildungen, in denen sich Frauen* oftmals gar nicht wohlfühlen.

Ich habe selbst so viele Stories von sexualisierter Gewalt erlebt und in meinem Umfeld mitbekommen.

Welche Rückmeldungen erhaltet ihr für eure Initiative? Ist auch Negatives dabei?

Die Rückmeldung, die wir bislang erhalten haben, war durchweg positiv. Viele freuen sich, dass das Thema mal angegangen wird. Aber wie in jedem Projekt, was etwas unbequem sein könnte, dauert es ein wenig, bis das Ganze auch wirklich ins Rollen kommt. Aber wir haben ja keinen Zeitstress und können in Ruhe unsere Reichweite aufbauen und überlegen, wo wir strategisch am besten ansetzen und welche Vernetzungen und Projekte wir anstreben. Kleiner Ausblick: Trainerinnenausbildungen oder Workshops stehen auf jeden Fall weit oben auf der Liste.

Wie alles begann: Dr. Elena Kiesling (zweite von links) und Christy Swagerty (rechts daneben) lernen sich kennen.

Nach ihrem Rücktritt beim DVV berichtete auch Julia Frauendorf in manchen Momenten „nicht akzeptiert zu sein“, u. A. durch das von Männern dominierte Verbandssystem. Werden euch ähnliche Erfahrungen zugetragen oder hast du sogar persönlich welche gemacht?

Ich glaube jede von uns kann ein Lied davon singen, wie schwer es ist, in diesem von Männern dominierten System akzeptiert zu werden. Deshalb kann ich das was Julia sagt zu 100 % nachvollziehen. Ich habe es selbst erlebt, dass mir etwas nicht zugetraut wurde, obwohl ich deutlich überqualifiziert war. Oder das mit mir nicht in die Kommunikation gegangen wurde, weil ich „unbequem“ war. Das ist ein Stereotyp womit Frauen* häufiger als Männer klar kommen müssen. Oder das männliche Trainer sich Sprüche rausgenommen haben, die völlig daneben waren. Das Athletinnen gewogen werden oder auch einfach nur die Art und Weise, wie mit ihnen gesprochen wird. Ich glaube die Beispiele sind endlos und es wird Zeit dagegen etwas zu tun.

Wie fällt bisher euer Fazit aus? Konntet ihr schon erste Erfolge erzielen?

Ich glaube jede Form um das Bewusstsein für das Thema zu steigern ist erst einmal ein Erfolg. Jetzt sehen wir weiter, wie wir den Erfolg ausbauen können. Christy hat z. B. ein zweimal jährlich stattfindendes Mädchen-Volleyball-Camp in Altdorf aufgebaut. In diesem Umfeld konnte sie bereits mehrere ihrer eigenen Spielerinnen als Trainerinnen ausbilden. Davon sind zwei diesen Sommer schon Cheftrainerinnen geworden. Und viele der Teilnehmerinnen beginnen auch Interesse an Coaching- und Führungsoptionen zu bekunden.

Auf welches Ziel arbeitet ihr hin?

Mehr Frauen* in Coaching- und Führungspositionen zu bekommen, um die Struktur von innen heraus zu verändern und jeder Athletin ein Safe Space für ihre sportliche Entwicklung zu bieten. Ich habe selbst so viele Stories von sexualisierter Gewalt erlebt und in meinem Umfeld mitbekommen. Das ist einfach unverantwortlich. Da muss die ganze Sport-Community mithelfen, damit so etwas nicht passiert und jedes Kind ohne Angst Sport machen kann.

Wie kann man euch beitreten oder unterstützen?

Frauen* können unserem Discord-Channel joinen, wo wir Ideen, Beiträge und Ressourcen zu verschiedenen Themen teilen. Weitere Infos findet man auf unserer Website www.womxn4volleyball.com oder auf Instagram, wo man uns natürlich folgen kann. Da würden wir uns freuen.

Vielen Dank für das Interview!

Über Dr. Elena Kiesling

Dr. Elena Kiesling hat 17 Jahre Trainererfahrung in der Bundesliga, im Bundesstützpunktsystem und im Beachvolleyball. Sie ist Inhaberin der A-Trainerlizenz Halle und Beach, trainierte den SV Lohhof in der 2. Bundesliga und arbeitet mit Beachvolleyballteams. Außerdem ist sie Gründerin und Inhaberin von Perform Ready, einem Coaching-Unternehmen, das mit Spitzensportlern und Unternehmen zusammenarbeitet. Bei ACES verbindet sie ihren Hintergrund in intersektionalem Feminismus und Queer-Kritik mit ihrer Leidenschaft für Sport.

Abonniere den Newsletter, um keine Nachrichten mehr aus der Volleyball-Branche zu verpassen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert